Welcher Bildungsweg entspricht deinen Talenten?
Immer mehr Schüler*innen wechseln aufs Gymnasium, um das Abitur zu machen. Erlangten noch vor 20 Jahren kaum 30 Prozent eines Jahrgangs die Hochschulreife, sind es inzwischen mehr als die Hälfte (Stand 2022). Und das ist gut, zeigt es doch, dass unser Bildungssystem immer durchlässiger wird: Der Anteil der Schüler*innen nimmt zu, die das Bildungsniveau ihrer Eltern übersteigen. Kurz gesagt, es gibt immer mehr Bildungsaufsteiger.
Warum so viele Abiturient*innen an die Unis strömen
Es ist mehr als fraglich, ob schulischer Erfolg in späteren Jahren zu beruflichem Erfolg führt – und Letzterer tatsächlich ein Garant für ein erfülltes Leben ist. Trotzdem wird Schüler*innen stets und ständig von Eltern und Lehrer*innen suggeriert, dass sie nur gute Noten schreiben müssten – und das Glück stelle sich quasi von selbst ein.
Nun, immerhin haben Akademiker*innen einen größeren Gehaltsvorteil gegenüber Arbeitnehmer*innen mit einem niedrigeren Bildungsabschluss. Zudem kann man davon ausgehen, dass ein höherer Schulabschluss mehr Freiheit bei der Berufswahl ermöglicht. Wer kein Abitur hat, darf nicht Medizin studieren und kann folglich kein Arzt werden. Umgekehrt wird ein Arzt – selbst wenn er es wollte – nicht als Pfleger arbeiten können, weil er für diese Tätigkeit überqualifiziert ist. Ein Downshifting, also der bewusste Karriere-Rückschritt, ist demnach kompliziert, in einigen Branchen sogar unmöglich. Insofern ist man auf jedem Bildungsniveau mit ganz eigenen Barrieren konfrontiert.
Das Studium als Normalfall
Nichts desto Trotz steht das Studium bei den meisten Abiturient*innen hoch im Kurs. Nur ein geringer Prozentsatz entscheidet sich nach der Schule für eine Ausbildung. Angesichts der Vielzahl an Abiturient*innen, die Jahr für Jahr die Schule verlassen und an die Universitäten strömen, geraten deshalb immer mehr Universitäten und Fachhochschulen an ihre Kapazitätsgrenzen. Neben Eignungstests gewinnt der Numerus Clausus bei der Studienplatzvergabe deshalb zunehmend an Bedeutung. Das wiederum erhöht den Druck auf Schüler*innen, Bestnoten zu schreiben:
Doch selbst eine 1,0 ist längst keine Garantie mehr zum Beispiel auf einen Studienplatz in Medizin. Die besten deutschen Universitäten akzeptieren keine 1,0 mit nur 820 Punkten im Abitur mehr. Es müssen schon mehr als 850 oder 870 Punkte sein – rein rechnerisch ein Abitur von 0,9 oder 0,8. Das schaffen nur die, die zwei Jahre lang fast durchgehend 15 Punkte, also eine Eins plus, in allen Oberstufe-Prüfungen nach Hause gebracht haben. Die Begründung der Universitäten für die noch strengere Eliten-Auswahl: Es gebe einfach zu viele 1,0-Kandidaten. (Quelle: Focus Online)
Trotz Ablehnung studieren: dank Studienplatzklage
Reicht der Notendurchschnitt nicht aus, um für das Traumstudium zugelassen zu werden, lohnt es sich mitunter ein oder mehrere Wartesemester einzulegen. Möglicherweise kannst du die Wartezeit durch ein Praktikum oder ein Freiwilliges Soziales Jahr aufwerten? Alternativ kann man versuchen, den gewünschten Studienplatz auf juristischem Wege mittels Studienplatzklage zu erkämpfen. Hierbei kann der Anspruch auf Immatrikulation (trotz vorheriger Ablehnung durch die Uni) gerichtlich geltend gemacht werden. Die Erfolgsquoten sind je nach Studienfach unterschiedlich hoch, bei den meisten Bachelor-Studiengängen liegen sie jedoch bei nahezu 100%!
Kritische Stimmen behaupten, das Niveau des Abiturs hätte abgenommen. Einige sprechen sogar von einer „Abiturientenschwemme“, so als gäbe es eine Obergrenze für Student*innen in Deutschland. Statt sich zu freuen, dass das Bildungsniveau in der Bundesrepublik insgesamt steigt, monieren sie, dass es Studienanfänger*innen an Wissen fehle. Tatsächlich brachen 2021 rund 43 Prozent der Student*innen ihr Studium in den MINT-Fächern – also in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik – ab. Allerdings sind die Gründe für einen Abbruch des Studiums vielfältig.
Viele Wege führen zum Bildungserfolg
Ein Grund (von vielen) für den in letzter Zeit viel zitierten Fachkräftemangel liegt in der mangelnden Attraktivität der Ausbildungsberufe. Wie oben bereits erwähnt, entscheiden sich derzeit immer mehr junge Menschen für ein Studium, und kehren somit der dualen Ausbildung den Rücken. Vielleicht sollten sich (nicht nur) Schüler*innen mit durchschnittlichen Noten überlegen, ob ein theorielastiges Studium in überfüllten Hörsälen wirklich besser auf das spätere Berufsleben vorbereitet als eine praxisnahe Lehre, die oftmals sogar eine spätere Übernahme garantiert.
Zudem ist es auch nach einer Ausbildung nicht zu spät, ein Studium zu beginnen. Für Schüler*innen mit einem mittleren Schulabschluss ist eine erfolgreich absolvierte Ausbildung sogar die Voraussetzung, um ein Studium an einer Fachhochschule zu beginnen. Alternativ kann man auch ein Duales Studium aufnehmen, das mehr Berufspraxis ins Studium integriert. Was das Bildungsangebot anbelangt, führen in Deutschland glücklicherweise viele Wege zum Ziel.
Diese Durchlässigkeit und Flexibilität ist es letztlich, die das deutsche Bildungssystem stark macht. Nicht das Gegeneinander von akademischen und nicht-akademischen Werdegängen, nicht die Konfrontation zwischen Lehre und Studium sind notwendig, sondern die Chance, einen Bildungsweg zu gehen, der den eigenen Interessen und Talenten entspricht. (Quelle: Deutschlandfunk Kultur)