Du wurdest mit Flügeln geboren…
Blick in die Zukunft meiner Kinder
Damit leiste ich einen Beitrag zu meiner eigenen Blogparade „Kinder sind unsere Zukunft“.;)
Ich verstehe die Leute um mich herum nicht. Dabei bin ich genauso wie sie. Ich verstehe mich also selbst nicht?
Ich wohne in Berlin, würde mich aber selbst nicht als Berlinerin bezeichnen. Ich bin vor Jahren dazugekommen. Eine Zugezogene. Damals wollte ich unbedingt hierher. Berlin erschien mir wie eine bunte Oase inmitten der Trostlosigkeit. Multikulti versus Ostdeutschland.
Wer Berlin kennt, weiß: die Stadt ist weder reich noch glanzvoll. Das färbt auch auf die Menschen ab. Oder verhält es sich umgekehrt?
Wie auch immer, ich finde es angenehm, mich nicht herausputzen zu müssen. Man muss hier niemandem etwas beweisen, denn fast alle krebsen ja am Existenzminimum. Dachte ich. Naiv wie ich bin, glaubte ich ja auch, ihr Mangel an Geld mache die Leute zu etwas Besonderem. Der holde Arme sozusagen. Da habe ich mich ganz schön geirrt.
Ich lebe in einem kleinbürgerlichen Milieu nicht weit vom Zentrum. In einem typischen Berliner Mietshaus. Unsere Nachbarn sind kleine bis mittlere Angestellte, Handwerker, Migranten. Angeblich steckt Berlin voller Künstler. Die Hauptstadt der Kreativen. Ich weiß nicht, in welchen Löchern die sich verkriechen. Persönlich kenne ich kaum jemanden, den ich als intellektuell bezeichnen würde.
Meine Nachbarn jedenfalls sind Spießer durch und durch. Obwohl sie selbst nicht reich sind, begegnen sie den noch ärmeren Menschen mit Argwohn. Wenn es Winter wird und Obdachlose versuchen, in unserem Keller zu übernachten, weisen sie einander noch einmal mit aller Deutlichkeit darauf hin, dass die Kellertüren stets abzusperren sind. Als würden dort Schätze lagern. Viele hier sind Rentner. Sie leben in ständiger Angst. Doch wovor fürchten sie sich eigentlich so?
Lebenssinn Reichtum
Was mich am meisten an den Leuten um mich herum stört, ist ihre Gier. Zur Schau gestellter Reichtum ist per se erbärmlich. Aber Reichtum zur Schau zu stellen, obwohl man gar nicht reich ist – das ist einfach nur krank. Schlecht bezahlte Jobs, billige Mietwohnungen, aber nen Q7 vor der Tür. Die meisten fahren Audi oder Mercedes, einige wenige auch Porsche Cayenne. Ob Deutsche Kleinbürger oder Kleinbürger mit migrantischem Hintergrund: sie alle scheinen sich ein Stückchen Würde kaufen zu wollen. Ein bisschen: „Schaut mal alle her, ich bin wer!“
Aber wem rufen sie diesen Satz zu? Wir Nachbarn kennen einander doch wenigstens so gut, um diese Zurschaustellung als ein Vortäuschen falscher Tatsachen entlarven zu können. Jeder weiß, dass ihre Autos auf Pump gekauft sind. Wem also wollen sie etwas beweisen? –Sich selbst?
Mehr oder weniger durch Zufall hat mich ein Ausflug kürzlich ins Märkische Viertel geführt, eine Hochhaussiedlung im Norden Berlins. Da leben sie also, die Leute, die sich den Benz nicht mal auf Raten leisten können. Die Verlierer. Sie schlenderten durchs Einkaufscenter (das sich der Klientel angepasst hat und ausschließlich Billigläden enthielt), tranken Kaffee oder spielten mit ihren Kindern auf dem Spielplatz. Man hätte meinen können, man wäre in Prenzlauer Berg. Bis auf die Statussymbole natürlich.
Sinnlos glücklich
Hier setze ich an, wenn ich schreibe „Ich verstehe die Leute um mich herum nicht.“. Wir sind frei, alle Türen stehen uns offen. Doch den meisten genügt es, einen Beruf zu ergreifen, der es ihnen ermöglicht, ihrem Umfeld zu signalisieren, dass sie nicht zur Unterschicht gehören. Das ist ihr Wirklichkeit gewordener Traum von einem guten und glücklichen Leben. Die Frage nach dem Sinn erübrigt sich wohl. Man könnte allerdings fragen: Muss das Leben überhaupt einen Sinn machen?
Ein Freund beklagt sich seit vielen Jahren über seinen Job in einem Call Center, die unerträglichen Schichten, das schlechte Gehalt, die Lügen der Vorgesetzten. Wird er kündigen? –Natürlich nicht. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Das Geld reicht zum Leben. Hin und wieder gönnt er sich was. Dann darf’s auch mal Prestige sein. Mehr nicht?
Wir sind ambitionslos geworden. Irgendwelche Ziele, die über den Kauf materieller Dinge hinausgehen? Bitte Arm heben, wer die noch hat!
Dem Leben fehlt’s an Metaphysik. Genau das ist es, worauf Houellebequ in seinem Roman „Unterwerfung“ anspielt, wenn er ein islamisches Frankreich entwirft. Ich habe lange nicht verstanden, weshalb die Franzosen (im Buch) nicht gegen die neuen religiösen Regeln aufbegehren. Vielleicht – so die Schlussfolgerung in Houellebequ’s Roman – will der Mensch einfach einem höherem Zweck dienlich sein, der seinem Leben Sinn verleiht.
Welche Werte soll ich meinen Kindern vermitteln?
Ich habe weit ausgeholt, um auf das eigentliche Thema zu sprechen zu kommen. Welche Zukunft wünsche ich meinen Kindern? Was sollen sie einmal vom Leben haben?
Die Frage impliziert auch: Wie soll ich sie erziehen? Welche Werte soll ich ihnen vermitteln?
Der einzige Wert scheint im Geld zu liegen und ich merke, wie erzkapitalistisch mein Sohn bereits jetzt gestrickt ist. Schon in der ersten Klasse ließ er verlauten: „Was kriege ich denn dafür, dass ich mich anstrenge?“ Für seine Leistung verlangte er stets eine Gegenleistung. Umsonst anstrengen? –Aus Freude am Lernen vielleicht? –Zu immateriell.
Ich befürchte, mit bloßer Erziehung kommt man gegen die Zustände nicht an. Meine Kinder werden Konsumsoldaten, ob ich das will oder nicht. Auch sie werden ihr Glück im iPhone und in Markenklamotten, später im Auto und im Reihenhaus suchen. Dem werden sie ihr Leben unterordnen.
Der Materialismus selbst ist, glaube ich, nicht das Problem. Immerhin leben wir in einer sehr friedlichen Gesellschaft. Außerdem geht es halbwegs gerecht zu. Aber der Materialismus bringt Konkurrenzdenken mit sich. Die Leistungsgesellschaft erfordert Ellenbogen. Die Schwierigkeit besteht demnach darin, die „Haste-was-biste-was“-Mentalität mit Werten wie Freundschaft und sozialem Handeln unter einen Hut zu bringen. Jemanden nach seinen Taten und Fähigkeiten zu beurteilen, und nicht nach seinem Äußeren, das fällt meinen Kindern noch ganz leicht. Es liegt an mir, dafür zu sorgen, dass sie sich diese Fähigkeit bewahren.
Such das Glück im Glück!
„Habt Freude am Leben!“ vermittle ich meinen Kindern weiterhin. Fußball macht dir keinen Spaß? –Dann versuch’s doch mal mit Tennis! Nur durch die Schule müssen sie irgendwie durch, obwohl die bekanntlich wenig Freude bereitet.
Ein weiterer Tipp: Macht was mit den Händen! Lernt ein Handwerk. Begreift die Welt. Theorie allein macht nicht glücklich. (Wobei das ein sehr romantischer Ratschlag ist, denn jeder weiß, dass das Handwerk heutzutage nur noch wenig mit seinen Ursprüngen zu tun hat.) Doch kann ich nachvollziehen, weshalb viele Menschen dem DIY-Trend so erlegen sind. Etwas selbst zu machen, auch wenn es am Ende vielleicht nicht so toll aussieht, wie man es sich vorgestellt hat, ist erfüllender als sich Dinge nur zu kaufen.
Was mir auch wichtig ist: Dass sie sich ausprobieren, sich selbst und ihre Fähigkeiten kennen lernen, um später besser einschätzen zu können, was ihnen im Leben wichtig ist. Persönlich würde ich ihnen auch dazu raten, möglichst spät Kinder zu kriegen, denn Kinder binden. Sie binden an einen Partner, an einen Ort, an eine Arbeitsstelle. Gerade für Mütter ist die Sinnhaftigkeit der Arbeit dann zweitrangig: egal, was und für wie wenig Lohn, Hauptsache Teilzeit. Haben wir dafür studiert?
Karriere machen oder Downshifting: wir haben die Wahl
Das liegt natürlich an den wenigen Kita-Plätzen, zwinker-zwinker. In meinen Augen ist der Fehler eher bei den Arbeitgebern zu suchen, für die Mütter ein Verlustgeschäft darstellen. Zu unflexibel. Ob Mann oder Frau, wir sollen arbeiten, am besten 40 Stunden die Woche. Noch besser ist es natürlich, wenn wir stets und ständig für das Unternehmen verfügbar sind. Um die Arbeit herum können wir dann unser sonstiges Leben sortieren: Familie, Kinder, den ganzen nebensächlichen Kram eben.
Oder wir begeben uns nicht ins Hamsterrad. Dann aber werden wir wohl auf Statussymbole verzichten müssen. Selbstverwirklichung versus Geldverdienen. Blöd nur, dass man ohne Prestige schnell als Verlierer gebranntmarkt ist.
Na ja, immerhin haben wir die Wahl. Und dass sie auch weiterhin die Wahl haben werden und dann eine Entscheidung treffen, mit der sie leben können, das wünsche ich meinen Kindern in naher und in ferner Zukunft.
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