Warum in den Vorort ziehen?
Wenn ich mit dem Auto unterwegs bin und an EFH-Siedlungen vorbeifahre, schüttle ich immer traurig den Kopf und denke: „Mein Gott, wie kann man dort nur leben?“, bis mir klar wird: „Oh, ich wohne ja selber an so einem Ort!“. Einem Ort, der nicht so recht zur Stadt gehört, aber auch nicht zum Land.
Nicht das Land ist das Ziel der Stadtflucht, sondern der suburbane Raum
Trotzdem wird er gern mit dem Landleben verwechselt. Selbst ich beschreibe meinen Wohnsitz oftmals als auf dem Lande, aber dort wohne ich gar nicht. Ich wohne im:
Suburb, auch Schlafstadt genannt, Trabantenstadt oder Satellitenstadt. Oder EFH-Siedlung. Letztere beschreibt es am treffendsten, wobei ich zugeben muss, dass in solchen Siedlungen natürlich auch Reihenhäuser und Doppelhaushälften, ja selbst Mietshäuser stehen.
Mehr aber auch nicht. Jobs zum Beispiel findet man hier kaum. Deshalb pendelt der Großteil der Siedlungsbewohner zur Arbeit.
Da ich das Leben auf dem Lande mit dem Leben in der EFH-Siedlung verwechselt habe, war ich umso enttäuschter, als ich feststellte, dass die Vorzüge des Landlebens (so wie ich sie mir vorgestellt habe) nur bedingt auf die EFH-Siedlung zutreffen.
Doch nur weil die Einfamilienhaussiedlung anders ist als ein echtes Dorf, muss sie nicht schlechter sein. Natürlich hat das Leben hier auch seine Vorzüge. Und diesen möchte ich mich im Folgenden widmen:
1. Bezahlbarer Wohnraum
Seien wir ehrlich, dies ist der Hauptgrund, der uns Städter in die EFH-Siedlung zieht. Die Kreditraten fürs Haus sind einfach günstiger als die Miete für eine Wohnung in der Stadt. Gerade wenn man nach größerem Wohnraum sucht, gibt der Markt derzeit nichts Bezahlbares her. Auch bei den Nebenkosten spart man, schließlich wohnt man nun in einem energetisch hochmodernen Neubau, nicht mehr in der zugigen Altbauwohnung.
2. Das Haus als Sparschwein
Bleiben wir beim Thema Geld: Die Zinsen sind so niedrig wie nie, da lässt sich der Kredit vergleichsweise schnell tilgen – und das spart noch einmal. Schließlich müssen dann nur noch die Nebenkosten fürs Haus bezahlt werden.
Immobilien gelten darüber hinaus als wertstabile Geldanlage. Wer sein Haus verkauft, macht zumindest nicht miese. Wenn sich die EFH-Siedlung darüber hinaus in einer attraktiven Lage befindet (Nähe zur Stadt, Infrastruktur), kann man sogar mit einer Wertsteigerung rechnen.
3. Günstiges Landleben
Dass man im Vorort günstiger lebt als in der Stadt, hat mich selbst überrascht. Doch man kann hier durchaus sparen.
So kostet die Mitgliedschaft im Tennisverein in Berlin tatsächlich das Doppelte wie hier. Auch andere Freizeitaktivitäten sind vergleichsweise günstig, weil sich viele Leute ehrenamtlich engagieren und die Angebote folglich kostenlos oder gegen eine geringfügige Aufwandsentschädigung zur Verfügung stellen.
Den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen, ist für SchülerInnen gratis, wenn sie weiter als 5 Kilometer von der Schule entfernt wohnen. Sowas leistet sich nicht einmal Berlin.
Museen, Kinos und Theater gibt es hier draußen nicht – insofern braucht man auch kein Geld dafür auszugeben. Ebenso wenig sind Imbissbuden, Restaurants oder (gute) Cafés vorhanden. Willst du speisen, musst du selber kochen/backen. Wieder Geld gespart.
Auch muss man am Wochenende nicht extra ins Umland fahren, um in der Natur zu sein. Man wohnt schließlich schon dort.
4. Stille genießen
Wie laut oder leise es in deiner EFH-Siedlung tatsächlich zugeht, mag von Ort zu Ort variieren. Fakt ist jedoch, dass du, wenn du die Haustür hinter dir schließt, deine Ruhe hast. Kein Techno-Gewummere vom Nachbarn unter dir, keine lautstarken Orgasmen von der Nachbarin neben dir, kein Hundegebell, das durch den Hausflur schallt, keine Zeugen Jehovas, die stets aufs Neue bei dir klingeln, um dich zu bekehren. Nur du und dein Haus – und das ist soooooooo erholsam.
5. Friedvolle Kindheit
Man hört oft, dass Paare erst dann den Schritt in die EFH-Siedlung wagen, wenn sich Nachwuchs ankündigt. Dieser soll schließlich behütet aufwachsen. Sicherheit geht vor.
So richtig kann ich das Argument nicht nachvollziehen. Natürlich können die Kinder im Garten spielen. Doch wie lange hält es sie dort? Irgendwann kommt Langeweile auf und dann möchten sie auch mal die Welt jenseits des Gartens erkunden. Und was befindet sich jenseits des Gartens? Der nächste Garten und der nächste Garten und der nächste…, säuberlich eingezäunt, um ungebetene Gäste fernzuhalten.
Die EFH-Welt ist begrenzt, wortwörtlich.
Immerhin kann man den Nachwuchs hier guten Gewissens allein draußen spielen oder mit dem Rad herumfahren lassen. In der Regel herrscht einfach weniger Verkehr, auch dank der Errichtung verkehrberuhigter Bereiche.
6. Bessere Schulen
Schwieriges Thema, das für Außenstehende kaum zu beurteilen ist. Falls LehrerInnen mitlesen, bitte ich um Feedback!
Die Misanthropin in mir vermutet, dass das Argument auf den Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund abzielt. Dieser ist hier draußen verschwindend gering. Macht das eine Schule zu einer besseren Schule? -Nein. Aber es gibt viele, die es für möglich halten.
7. Homogene Bevölkerung
Der Mensch umgibt sich gern mit Gleichgesinnten – und das spricht eindeutig für ein Leben in der EFH-Siedlung. Generell gibt es kaum Unterschiede zwischen den Einwohnern einer im Suburb. Zwar besteht ein Mix aus verschiedenen Bildungsgraden und Berufen (eindeutig zu unterteilen in 1. jene, die ihr Haus selbst bauen, und 2. solche, die ihr Haus kaufen). Was Gehälter und Lebensstile sowie Sichtweisen anbelangt, ähneln sich jedoch so gut wie alle BewohnerInnen.
Subkulturen habe ich noch nicht wahrgenommen, ebenso wenig Armut, Obdachlosigkeit oder Kriminalität. Auch illegale Drogen scheinen im Suburb keine Rolle zu spielen.
8. Mitsprache & Beteiligung
Was auf lokalpolitischer Ebene geschieht, kann man als BürgerIn klar nachvollziehen, denn über Vorhaben, Entscheidungen und Projektfortschritte wird transparent berichtet. Auch kann man sich als BürgerIn relativ leicht einbringen, da lokalpolitische Posten auf dieser Ebene ehrenamtlicher Natur sind. AnsprechpartnerInnen wohnen oft nur ein paar Häuser weiter. Dies führt zu einem hohen bürgerlichen Engagement und der Identifizierung mit dem Wohnort.
9. Nähe zur Natur
Nicht zuletzt ist es die Nähe zum Grün, die viele Städter veranlasst, ihren Wohnort zu wechseln. Es liegt auf der Hand, dass der Stresspegel sinkt, wenn man durch einen Wald spaziert. Ähnlich verhält es sich, wenn man im Grünen wohnt.
Die Natur sorgt dafür, dass es dem Menschen körperlich, aber auch geistig besser geht. Sie verführt zu den unterschiedlichsten Aktivitäten, angefangen beim Gärtnern bis zum Schwimmen im See, was das Sterblichkeitsrisiko nachweislich senkt.
Leider liegen nicht alle EFH-Siedlungen im Grünen. Oftmals wurden sie lediglich auf irgendeinem Acker errichtet. Doch schon der Blick in den eigenen Garten kann das Wohlbefinden steigern.
Mein kurzer Überblick erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Was die BewohnerInnen einer EFH-Siedlung letztlich an ihrem Wohnort schätzen, kann sich individuell unterscheiden. Oftmals sind es Kleinigkeit, wie nicht mehr jedem modischen Trend hinterherjagen zu müssen, weil man eh nicht gesehen wird. Für Kinder kann es überdies schön sein, Haustiere zu halten, für die Erwachsenen Gemüse aus dem eigenen Nutzgarten zu ernten. Und so weiter und so fort.
LG Anne!!!