Gehörlosengerechtes Bauen
Wie du Wohnung & Haus an die Bedürfnisse Gehörloser und Schwerhöriger anpasst
In Deutschland leben etwa 80.000 Gehörlose. Nach Angaben des Deutschen Schwerhörigenbundes gibt es außerdem ca. 16 Millionen Schwerhörige. Einige tragen ein sog. Cochlea-Implantat, andere verständigen sich mit Hilfe der Gebärdensprache.
Bei einem so großen Anteil der Bevölkerung, der aufgrund seines Gehörs auf eine spezielle Wohnungseinrichtung angewiesen ist, sollte man meinen, dass das Wissen darüber, wie man den Bedürfnissen Gehörloser gerecht werden kann, bekannt und weit verbreitet ist.
Tatsächlich ist gehörlosengerechtes Bauen jedoch noch nicht beim Hausbau angekommen. Das liegt zum einen daran, dass die Ansprüche behinderter Menschen höchst unterschiedlich sind. So hat ein gehörloser Erwachsener, der die Gebärdensprache verwendet, andere Bedürfnisse als jemand, der ein Cochlea-Implantat trägt, um sein Hörvermögen wiederherzustellen. Was der eine als störend empfindet (zum Beispiel irritierender Trittschall auf Bodenbelägen aus Holz), benötigt ein anderer zur Kommunikation (Klopfgeräusche, die dank Vibration vom Parkettboden besonders gut übertragen werden).
Wieder andere benötigen klassische Hörgeräte, um ihr Gehör zu verbessern. Wirken zu viele Hintergrundgeräusche zusammen, haben sie es zum Beispiel schwer, sich auf ein Gespräch zu konzentrieren.
Gehörlose in die Planung des Wohnraums einbeziehen
Daher ist es äußerst sinnvoll, den Hörgeschädigten in die Planung mit einzubeziehen. Letztlich soll er sich in seinem Haus bzw. seiner Wohnung ja wohlfühlen und gut zurechtkommen. Falls erforderlich, kann ein Dolmetscher dabei helfen, dass der Hörgeschädigte sich direkt mit dem Bauunternehmer oder Architekten austauschen kann.
Da die meisten Häuser für Bewohner ohne körperliche Einschränkungen entworfen werden, fehlt den Planern schlicht die Erfahrung, welche Änderungen für beeinträchtigte Menschen am praktischsten wären. Bei der Anpassung von bestehendem Wohnraum oder dem Neubau können die folgenden Ideen und Überlegungen zur Inneneinrichtung für Gehörlose und Schwerhörige eine Erleichterung darstellen:
1. Gehörlosengerechtes Bauen: Offener Grundriss
Gehörlose Menschen brauchen mehr Raum, um effektiv per Gebärdensprache kommunizieren zu können. Enge Flure verhindern, dass die Menschen beim Sprechen nebeneinander hergehen können. Offene Grundrisse sorgen hingegen dafür, Gesten und Gesichter der Menschen, mit denen man spricht, zu sehen. Wände und Türen stellen hingegen Sicht-Barrieren dar, die es nach Möglichkeit zu vermeiden gilt. Falls bestehender Wohnraum sehr kleinteilig angelegt ist, also viele voneinander getrennte Räume aufweist, können Wände ggf. entfernt werden. Hierbei ist lediglich darauf zu achten, dass tragende Wände bestehen bleiben.
Räume dienen allerdings auch als Rückzugsorte. So möchten auch beeinträchtigte Kinder ihr eigenes Zimmer, um darin zu spielen oder zu lernen. Damit sie trotzdem wahrnehmen, ob sich jemand im Flur befindet und sich ihrem Zimmer nähert, können zum Beispiel Glasbausteine oder vertikale Glasscheiben in die Wände integriert werden.
2. Schalldämmende Fenster
Wie eingangs erwähnt, können Hintergrundgeräusche für schwerhörige Menschen als störend empfunden werden. Egal ob doppelt oder dreifach verglast, durch die Fenster gelangen den ganzen Tag über die unterschiedlichsten Geräusche ins Haus. Schwere Vorhänge können helfen, derlei Außengeräusche zu reduzieren. Eine spezielle Schallschutzverglasung sorgt für eine zusätzliche Dämmung um etwa 50 Dezibel. Zum Vergleich: Schon eine Dämmung um 10 Dezibel wird vom Menschen als Halbierung des Lärms empfunden. Wer sich für Phonak Hörgeräte entscheidet, kann die Akustik des Hörgeräts individuell einstellen und somit Störgeräusche verringern.
3. Schalldämmende Fußböden, Decken und Wände
Schalldämmende Böden, Decken und Wände verringern den Lärm im Haus und verhindern, dass Echos die Kommunikation negativ beeinflussen. Teppichböden haben ausgezeichnete dämpfende Eigenschaften. Spezielles akustisches Wand- und Deckenmaterial hat einen ähnlichen Effekt. Die von Geräten wie einer Waschmaschine verursachten Vibrationen können für manche Schwerhörigen besonders störend oder lästig sein. Hier kann schalldämmendes Material wie Akustikschaum in Form von Matten Abhilfe schaffen.
Hohe Decken verursachen einen Nachhall der im Wohnraum verursachten Geräusche. Dieser kann schwerhörigen Menschen das Leben schwer machen. Wer sein eigenes Haus baut, kann relativ einfach niedrige Decken in den Entwurf des Hauses integrieren. Auf der Suche nach einer geeigneten Bestandsimmobilie sollte man darauf achten, dass das Haus bereits niedrige Decken hat.
4. Sanfte Beleuchtung und passende Farben
Natürliche, zarte Farbtöne erleichtern den Menschen das Sehen und die Verarbeitung visueller Informationen. Gedeckte Farben haben darüber hinaus den Vorteil, dass sich die Augen ausruhen können, denn die Augen Gehörloser werden besonders beansprucht. Vor allem das Lippenlesen strengt an. Auch eine sanfte Beleuchtung trägt dazu bei, sich besser im Wohnraum zurechtzufinden. Vorgehängte Jalousien an den Fenstern mildern das Tageslicht ab und sorgen dafür, dass sich niemand geblendet fühlt. Nachts kann das Licht von mehreren Leuchten genutzt werden, um das Haus in ein sanftes Licht zu tauchen. Dies ahmt die Lichtverhältnisse nach, die tagsüber in der Wohnung herrschen.
5. Smarte Haustechnik nutzen
Technik kann an vielen Stellen zur Verbesserung der Sicherheit im Haus eingesetzt werden. Die entsprechenden Produkte erfüllen die unterschiedlichsten Bedürfnisse. Rauchmelder und Kohlenmonoxiddetektoren können Hausbesitzer durch helles Blinken und Vibrieren auf ein Problem aufmerksam machen. Die gleichen Arten von Alarmen können auch in intelligenten Sicherheitsgeräten verwendet werden, die dazu beitragen, Häuser vor Eindringlingen zu schützen.
Bewegungsmelder sorgen dafür, das Grundstück zu beleuchten und die Bewohner zu alarmieren, wenn sich jemand nähert. Vibrationen und blinkende Lichter können dazu beitragen, dass man mitbekommt, wann ein Küchengerät fertig ist. Smarte Haustechnik wird in immer mehr Neubauten integriert, um das Leben ihrer Bewohner zu erleichtern. Dass auch verstärkt Geräte auf den Markt kommen, die beeinträchtigte Menschen in ihrem Alltag unterstützen, ist ebenfalls sehr wahrscheinlich.
Fazit: Anpassungen im Haushalt verbessern die Lebensqualität
Die Beseitigung von Lärm und Ablenkungen sowie die Verbesserung der Sichtachsen in der Wohnung bzw. im Haus sind gute Möglichkeiten, die Kommunikation für gehörlose und schwerhörige Menschen zu erleichtern. Die o.g. Ideen sind nur einige Beispiele von vielen, die je nach Budget oder Geschick umgesetzt werden können. Leider gibt es kein Patentrezept – am besten, man tauscht sich mit dem Bewohner direkt aus, um sich nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu richten.
LG Anne!!!