Haben wir überhaupt noch Überzeugungen?
Der Roman „Unterwerfung“ von Michel Houellebeqc bezweifelt dies und beschreibt uns Westler als eine sehr anpassungsfähige Spezies
Eine Rezension
Da ich die Kinder in den Winterferien immer mal wieder vorm Fernseher geparkt habe, bin ich endlich dazu gekommen, Houellebequ’s „Unterwerfung“ durchzulesen. Im Folgenden also meine Rezension zum neuesten Roman des „Skandalautors“:
Um mir eine eigene Meinung zu bilden, habe ich es diesmal vermieden, mir vorerst andere Rezensionen durchzulesen. Ich gehöre nämlich für gewöhnlich zu den Menschen, die ihre Ansichten erstmal mit denen der anderen abgleichen…
Zukunftsszenario: Frankreich wird islamisch
Der Inhalt von „Unterwerfung“ ist schnell wiedergegeben: Der Protagonist, ein einsiedlerisch lebender Pariser Literaturprofessor, beschreibt die politischen Umwälzungen eines in naher Zukunft befindlichen Frankreichs. Damit die Rechten nicht die Macht ergreifen, kommt es zu einem Regierungsbündnis zwischen der Linken und den Moslembrüdern. Letztere stellen den Präsidenten.
Stoisch nimmt der Protagonist die folgenden gesellschaftlichen Veränderungen hin, auch seine eigene Kündigung: nur noch Männer, die zum Islam übertreten, dürfen an den französischen Hochschulen lehren. Frauen werden gänzlich vom Arbeitsleben ausgeschlossen, was die Arbeitslosenquote beträchtlich sinken lässt.
Obwohl der Protagonist eine ansehnlich Pension als Entschädigung erhält, spielt er mit dem Gedanken, zum Islam zu konvertieren, um seine Karriere an der Universität fortzusetzen bzw. überhaupt einen Lebenssinn zu haben. Wie so viele von Houellebequ’s (Anti-)Helden hat nämlich auch der Hochschulprofessor weder Hobbys noch Interessen, weder Freunde noch Frauen (zumindest keine, die ihm kostenlos zu Dienste sind).
Sein neuestes Werk ist mir zu politisch
Ich erwarte jedes Buch von Houellebeqc mit Spannung. Er ist einer meiner Lieblingsautoren und hat mich bislang nie enttäuscht. Sein neuestes Werk war allerdings wenig unterhaltsam. Der Anfang ist grandios, das Ende ernüchternd, aber dazwischen: Langeweile. Die politischen Wirren werden akribisch beschrieben, darunter leidet meiner Meinung nach die literarische Sprache. Wer politisch ebenso desinteressiert ist wie der Houellebeqc’sche Universitätsprofessor wird mit „Unterwerfung“ Probleme haben. Leider gehöre ich zu jenen Menschen, deren Auffassungsgabe beim Thema Parteipolitik gen Null tendiert. Stellenweise habe ich nur ein fortwährendes „Blablablabla“ gelesen und weitergeblättert.
Trotzdem habe ich das Buch fertig gelesen und wurde mit einem ernüchterndem Ende belohnt:
Der Mensch ist anpassungsfähig. Vielleicht unterwirft er sich gern?
Houellebequ’s Professor unterscheidet sich trotz seiner Weltverlorenheit kaum vom Rest der Gesellschaft. Dass er am Ende des Romans in Gedanken schon bei seiner Konversion zum Islam ist, zeugt von seinem Opportunismus angesichts einer mehr oder minder ausweglosen Situation. Da im Buch kaum von einer Rebellion gegen die neue gesellschaftliche Ordnung die Rede ist, nehme ich als Leserin an, dass alle Franzosen die neuen Regeln akzeptieren, sich ihnen in diesem Sinne also unterwerfen.
Gerade dieser Mangel an Rebellion hat mich verwundert. Offenbar ist niemand mehr bereit, für (gegenwärtig gelebte) Ideale wie die Freiheit zu kämpfen. Die Freiheit wird stattdessen eingetauscht gegen ein paar Annehmlichkeiten: Lohnerhöhungen, Polygamie.
Fazit
Wie so oft wurde medial übertrieben. Natürlich ist Houellebeqc kein Skandalautor. Die beschriebenen Sexsequenzen sind nicht pornografisch, wenngleich sie wahrscheinlich auch nicht den Geschmack der LiebhaberInnen von „Shades of Grey“ treffen (obwohl ich auch Frauen kenne, die beide Bücher mit Genuss gelesen haben). Auch der sogar in der ZEIT beschriebene „blutige Bürgerkrieg“ bleibt aus. Ein paar Anschläge, mehr nicht.
Houellebeqc‘s Roman ist zu guter Letzt nicht islamfeindlich, er entwirft lediglich ein Zukunftsszenario, das nicht näher bewertet wird. Ob man es gut oder schlecht findet, bleibt einem selbst überlassen.
Auch wenn „Unterwerfung“ nicht so unterhaltsam ist wie andere Romane von Houellebeqc, so ist es doch ein kluges Buch. Wie der Mensch tickt, das weiß Houellebeqc, und er beschreibt es herrlich kalt, eben unnachahmlich.